Blog - Rechtsanwalt Rinteln
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Ausgeblitzt? – wenn die Bußgeldbehörde ausgebremst wird

Auf Grund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VerfGH) Saarbrücken (Urteil vom 05.07.2019, Az.: Lv 7/17) sind im Saarland dieses Jahr nicht nur die stationären Blitzer-Anlagen der Firma Jenoptik, sondern auch die Anlagen der Firmen LEIVTEC und Vitronic außer Betrieb genommen worden.

Die Entscheidung des VerfGH bindet zwar unmittelbar nur Gerichte und Behörden innerhalb des Saarlandes, so die gesetzliche Regelung, hat jedoch bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Hintergrund war an sich ein recht einfach gelagerter Fall:

Dem betroffenen Fahrzeugführer eines Kfz ist der Vorwurf gemacht worden, innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 27 km/h überschritten zu haben. Nachdem der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hatte, jedoch in den Vorinstanzen unterlag, erhob er Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof Saarbrücken. Diese Begründete er damit, er sehe sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Es sei ihm nicht ermöglicht worden, eine Überprüfung des Messergebnisses durch einen Sachverständigen durchführen zu lassen, da das verwendete Lasermessgerät die so genannten Rohmessdaten, die für eine solche Überprüfung notwendig sind, nicht speichern würde. Zwar wäre eine derartige Speicherung grundsätzlich problemlos möglich, sie hätte jedoch schlichtweg nicht stattgefunden, so dass es ihm verwehrt gewesen sei, zu etwaigen Messfehlern vortragen zu können.

Das Gericht hat hierzu festgestellt, dass die zunächst zur Ermittlung der Geschwindigkeit erhobenen Rohmessdaten im Anschluss an die Messung tatsächlich derart umfangreich gelöscht werden, dass eine nachträgliche Überprüfung unmöglich ist. Mit dieser Begründung hob der VerfGH die Entscheidungen der Vorinstanzen auf.

Schon seit erheblicher Zeit kämpfen Verteidiger in Bußgeldangelegenheiten darum, Zugriff auf derartige Messdaten erhalten zu können, um feststellen zu lassen, ob die Messung tatsächlich ordnungsgemäß erfolgt sei.

Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1993 festgestellt hatte, dass der jeweils Betroffene einen Anspruch darauf habe, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden und ihm dazu die Möglichkeit gegeben werden müsse, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen, war dies aufgrund der weiteren Entwicklung in der Rechtsprechung für Verteidiger in der Regel in der Praxis unmöglich. Dies lag daran, dass mehrere Gerichte (so z.B. das OLG Celle sowie das OLG Hamm) Entscheidungen dahingehend trafen, dass dem Verteidiger die Einsicht in maßgebliche Unterlagen wie z.B. die Lebensakte des Messgerätes und auch die Rohmessdaten verweigert werden konnte. Dies geschah und geschieht mit dem Hinweis auf die so genannten „standardisierten Messverfahren“, was nichts weiter heißt, als dass ein vereinheitlichtes Verfahren vorliegt, bei dem davon auszugehen ist, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. So ging die Rechtsprechung bisher regelmäßig davon aus, dass ein Messgerät, welches mit einem standardisierten Messverfahren arbeitet, zuverlässig ist,  so dass die Gerichte sich für ein Urteil in Bezug auf die gemessene Geschwindigkeit lediglich darauf beziehen mussten, welches Messverfahren angewandt wurde, welche gemessene Geschwindigkeit sich hieraus ergab und welcher Toleranzabzug vorgenommen wurde.

Einwendungen oder Beweiserhebungen gegen die Richtigkeit des Messverfahrens an sich waren dementsprechend so gut wie unmöglich. Zwar gab und gibt es noch diverse andere Möglichkeiten, gegen Bußgeldbescheide vorzugehen, dennoch gibt die vorliegende Entscheidung Hoffnung, dass im Rahmen eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens dem Betroffenen und deren Verteidigern ein erhebliches Werkzeug an die Hand gegeben wird, das Messverfahren bezüglich seiner Richtigkeit überprüfen zu können.

Die bisherige Rechtsprechung hatte für die Hersteller der Geräte die Konsequenz, dass sie schlichtweg darauf verzichtet haben, die Rohmessdaten zu speichern, da sie ja gemäß der Rechtsprechung nicht benötigt wurden. 

Eine Folge des Urteiles ist derzeit allerdings auch, dass es vollkommen vom Zufall abhängt, ob ein Geschwindigkeitsverstoß auch tatsächlich verfolgt wird. Dies ist davon abhängig, mit welchem Messgerät und in welchem Bundesland die Kontrolle durchgeführt wurde.

So hat das Oldenburger Oberlandesgericht (OLG) zwischenzeitlich zwar beschlossen (OLG Oldenburg Beschl. v. 9.9.2019 – 2 Ss (OWi) 233/19) dem VerfGH Saarland nicht zu folgen, es bleibt jedoch abzuwarten, wie es die jeweiligen Landesverfassungsgerichte sehen.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass es zu einer Vielzahl von Freisprüchen oder Einstellungen derartiger Bußgeldverfahren kommt, bei denen eine erfolgreiche Verteidigung bisher nahezu unmöglich war.

Fazit von Rechtsanwalt Rolf H. Stich:

Auch wenn die Entscheidung des VerfGH Saarbrücken kein Freifahrtschein für zu schnelles Fahren sein soll und sein darf, so ist sie dennoch die absolut richtige Entscheidung im Hinblick auf ein faires rechtsstaatliches Handeln. Gleichermaßen kann jedem Verkehrsteilnehmer, der aufgrund einer Geschwindigkeitsmessung belangt werden soll, nur geraten werden, einen Verteidiger dazu zu beauftragen, die Richtigkeit der durchgeführten Messung überprüfen zu lassen. Gleichermaßen ist derzeit auch eine Vielzahl von Fällen bekannt, in denen zwar gegebenenfalls das Messergebnisse richtig war, die zuständige Behörde das Bußgeld jedoch mit der Annahme, es läge Vorsatz vor, verdoppelte, ohne dies näher zu begründen. Auch dies ist unzulässig und sollte von Betroffenen nicht hingenommen werden.

 

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